Das Dilemma des Feedbacks
Ich betrachte Feedbacks ambivalent: auf der einen Seite versprechen sie Entwicklung, auf der anderen Seite ist das Resultat Fremdsteuerung. In der heutigen Arbeitswelt ist es zum omnipräsenten Schlagwort geworden. Es trägt das Image eines allheilenden Werkzeugs, das Verbesserung, Lernen und Nähe verheißt. Und dennoch: Diese Idee wird in der Praxis sehr ineffektiv und bisweilen kontraproduktiv umgesetzt.
Das Problem beginnt schon bei der Wahrnehmung: Feedback gilt als positiv, während Kritik negativ behaftet ist. Doch diese Unterscheidung ist irreführend. Beides – Feedback wie Kritik – kann entweder konstruktiv oder destruktiv sein. Was Feedback allerdings immer ist: Es sagt mehr über den Feedback-Geber aus als über den Feedback-Nehmer. Es ist, nüchtern betrachtet, eine Momentaufnahme der Selbstbiografie des Gebenden.
Auf der erkenntnistheoretischen Ebene gibt es zwei Dimensionen, Feedback zu betrachten: Die personenzentrierte Sichtweise fokussiert auf die inneren Eigenschaften, Dynamiken und Charakterzüge des Feedback-Empfängers. Dieses Modell ist simpel, aber in seiner Einseitigkeit oft irreführend. Der systemische Ansatz verfolgt die Idee, daß ein Verhalten das Ergebnis des Kontextes, der Zusammenarbeit und der Umgebungsfaktoren ist. Diese Sichtweise ist praktischer, da sie Interaktionen und Umstände einbezieht.
Das klassische Feedback ignoriert diese zweite Dimension meist vollständig. Es individualisiert das Problem und klammert den Kontext aus – eine gefährliche Verkürzung wie ich meine.
Feedback als Machtinstrument
Das asymmetrische Machtverhältnis zwischen Feedback-Geber und -Nehmer verzerrt die Kommunikation. Ehrlichkeit wird zur Illusion, Authentizität zum Wunschtraum. Macht lenkt Feedback – und zwar in Richtung Konformität. Wer sich dieser Konformität widersetzt, gerät ins Abseits. Die Botschaft: „Verhalte dich so, wie ich dich gerne hätte!“ Feedback wird so zum Werkzeug der Anpassung, nicht der Entwicklung.
Von Fremdsteuerung und Infantilisierung
Was passiert mit Menschen, die sich ständig an Feedback orientieren? Sie verlieren ihre Eigenständigkeit, entwickeln einen Fremdwert, keinen Selbstwert. Ihre Motivation ist extrinsisch: „Du sollst!“ statt „Ich will!“. Die Folge? Mitarbeiter werden zu unmündigen Kindern, die darauf trainiert sind, Erwartungen zu erfüllen, statt Verantwortung zu übernehmen. Können Unternehmen mit solch fremdgesteuerten Mitarbeitern die Herausforderungen der Zukunft meistern? Ich habe großen Zweifel.
Der Preis der Feedback-Bürokratie
Eine organisierte Feedback-Kultur, wie das vielgepriesene 360-Grad-Feedback, wirkt auf den ersten Blick sinnvoll. Doch in der Praxis zeigt sich ein anderes Bild: Ein Netzwerk wechselseitiger Bewertungen entsteht, das immense Bürokratie erzeugt. Zeit, Nerven und Geld werden aufgewendet – mit einem fragwürdigen Nutzen. Denn während intern der Beschäftigungsaufwand steigt, bleibt der eigentliche Fokus – der Kunde – oft auf der Strecke.
Der entscheidende Unterschied: Reflexion statt Anpassung
Feedback sollte Raum für Reflexion schaffen, nicht zur Anpassung zwingen. Es sollte die intrinsische Motivation fördern, nicht extrinsische Erwartungshaltungen zementieren. Nur so können sich mündige, verantwortungsbewusste Mitarbeiter entwickeln, die „Ich will!“ sagen können und nicht darauf warten, dass man ihnen sagt, was sie tun sollen.
Fazit: Weniger Feedback, mehr Sinn
Die kleinste Einheit eines Unternehmens ist nicht der Mensch, sondern die Zusammenarbeit. Feedback, das allein auf den Einzelnen fokussiert ist, verfehlt seinen Zweck. Die Sinnhaftigkeit von Feedback-Kulturen muss kritisch hinterfragt werden. Es braucht weniger Bewertung und mehr Reflexion. Es geht nicht darum, Feedback abzuschaffen – es geht darum, es sinnvoll und kontextsensibel einzusetzen. Denn letztlich sollte das Ziel nicht Konformität, sondern Effektivität sein – für den Mitarbeiter und das Unternehmen gleichermaßen.